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Befestigungsmittel, Schmuckstück und Statussymbol: die Fibel einer Alemannenfrau

 

Hans Schweiger hat uns ein Lieblingsstück benannt, an dem wir ohne seinen Fingerzeig wahrscheinlich achtlos vorbeigelaufen wären. Er schrieb: „Mein Lieblingsstück im Raum 104 ist klein. Die alemannische Rosettenfibel mit Gold, Silber und Almandinen wurde in den Tagen gefunden, an denen ich im Sommer 1960 jeweils in der Mittagspause mitgraben und mich als Archäologe betätigen durfte.“

In unserer Museumskartei unter der Nummer 4524 heißt es dazu: „Rosettenfibel aus dem Alemannengrab Nr. 59 (Frauengrab); Grundplatte, Rahmen und Stege der zwölf Zellen sind aus Silberblech; die Fibelaußenseite ist vergoldet; die etwa 0,8 mm stark geschliffenen Almandine sind mit gewaffeltem Goldblech hinterlegt, das auf einem Tonkern ruht; Boden und Seitenwände des Mittelmedaillons bestehen aus Goldblech; die Stege der Mittelzelle bestehen aus Silber; in den drei ausgesparten Segmenten befinden sich Achterschleifen aus Goldfiligran; Spirale, Spiral- und Nadelhalter sind weggebrochen und verloren. Die Fibel hat einen Durchmesser von 3,1 cm.“

Der obenstehende Text und die Zeichnungen dazu stammen aus dem Grabungsbericht von Rainer Christlein, einem aus Marktoberdorf stammenden Archäologen, der 1960 zu Beginn der Funde in der Alemannenstraße zufällig anwesend war und der später für seine Doktorarbeit die Funde dokumentiert und ausgewertet hat. Demnach wird das Reihengräberfeld in das 6. und 7. Jahrhundert datiert. Christlein schreibt, dass „unsere“ Rosettenfibel wohl nicht mehr von einer Alemannin der Gründergeneration getragen wurde. Vielmehr identifiziert er sie als fränkisches Produkt und tatsächlich gehörte unsere Gegend damals zum fränkischen Merowingerreich.

 

So eine Fibel war quasi die Sicherheitsnadel der Alemannenzeit: Sie diente dazu, Kleidungsstücke zusammenzuhalten und war modischen Strömungen unterworfen: Waren in der frühen Alemannenzeit paarweise Fibeln modern, so bevorzugten die Alemanninnen in der späteren Zeit Einzelfibeln wie unsere Rosettenfibel. Und Fibeln waren auch ein wichtiges Statussymbol, das über den Reichtum und sozialen Status seiner Trägerin Auskunft gab. Die Alemannen stellten erschwingliche Fibeln aus Pressblech her die sich auch weniger vermögende Alemannenfrauen leisten konnten. Unser Lieblingsstück ist jedoch eine Einzelanfertigung, die für einen gewissen Wohlstand ihrer Trägerin spricht. Grundplatte und Stege der Fibel sind aus Silber, lediglich die Außenseite ist vergoldet. Eine Alemannin der Oberschicht hätte sicherlich eine Fibel mit mehr Goldanteil oder aus Gold getragen.

 

Bemerkenswert ist, wie viel handwerkliches Können für das Herstellen einer solchen Fibel nötig war. Der Feinschmied musste zunächst die Grundform der Fibel gießen, in der Regel mit Hilfe einer Gussform aus Blei. Darauf setzte er dann die vorbereiteten Stege und damit diese haften blieben, bestrich er sie mit Klebstoff wie z.B. Quittensaft, den man zuvor mit Kupfersalz vermischt hatte. Damit wurden auch die drei liegenden Achter aus Filigrandraht aufgeklebt. Metalldrähte konnten die Handwerker damals noch nicht ziehen, sondern sie schnitten schmale Streifen aus dünnem Blech und rollten sie, bis sie die gewünschte Stärke und Form hatten. Dann drehten oder kerbten sie sie nach Bedarf. Danach kam die Fibel in den Ofen, wo der Klebstoff verkohlte und chemisch mit dem Kupfersalz reagierte. Das so entstandene metallische Kupfer verband sich fest mit den aufgesetzten Schmuckelementen. In die durch die Stege gebildeten Segmente setzte der Feinschmied Halbedelsteine ein. Am beliebtesten waren damals die sogenannten Almandine – wir sagen heute dazu Granate, in Märchen heißen sie Karfunkelsteine. Auch unsere Alemannin liebte wohl die Almandine, denn gleich 13 von ihnen zieren ihre Fibel. Die drei Perlen im Mittelteil der Fibel sind leider nicht näher beschrieben, doch könnte es sich dabei um Amethyst- oder Bergkristallperlen handeln, die aus südalpinen Schleifereien in die Alamannia kamen. Wie die Fibel zu unserer Oberdorferin kam, lässt sich nur vermuten: vielleicht als Mitgift, vielleicht bekam sie sie von ihrem Mann, der sie für seinen Sold als Soldat in der Fremde machen ließ, vielleicht konnte sie sie eintauschen. Das wird sich leider nicht mehr feststellen lassen.

 

Hans war 1960 ein junger Mitarbeiter in der Stadtverwaltung. Als er von den Funden hörte, interessierte er sich sehr dafür. Anfangs halfen Mitglieder des Heimatvereins bei den Ausgrabungen und auch er durfte mitmachen. Seine Mittagspausen verbrachte er von da an auf der Grabungsstätte. Er erhielt eine Spitzkelle als Arbeitsgerät und den Auftrag, in einem bestimmten Bereich den Boden abzutragen. In der steinigen Erde, von der der Humus abgeschoben war, konnte er die Gräber gut erkennen, denn sie waren mit dunkler Erde gefüllt. Wenn er glaubte, etwas gefunden zu haben, meldete er das einem Fachmann, der ihn dann ablöste. „Es war gar nicht so einfach zu erkennen, was ein Fundstück war und was nicht“, sagt er, denn die Funde waren ins Erdreich „eingebacken“. Als die von ihm als Lieblingsstück benannte Fibel gefunden wurde, herrschte ein großes Hallo im Grabungsteam. Alle liefen zusammen, um den Fund zu bewundern. Ehrlich, ich beneide Hans glühend darum, dass er so hautnah bei den Ausgrabungen dabei sein durfte.

 

Marktoberdorf, 20.03.2022

Kornelia Hieber

Heimatverein Marktoberdorf

 

Literatur:

Christlein, Rainer: Das alamannische Reihengräberfeld von Marktoberdorf im Allgäu,

Kallmünz/Opf. 1966.

 

Krapp, Karin: Die Alamannen. Krieger, Siedler, frühe Christen,

Stuttgart, 2007

 

Alamannenmuseum Ellwangen (Hg.); Stork, Ingo:

Fürst und Bauer Heide und Christ. 10 Jahre archäologische Forschungen in Lauchheim/Ostalbkreis, Ellwangen 2001.

 

Die beiden ersten Bücher können in der Stadtbücherei ausgeliehen werden.

 

 

 

 

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