Die Kirchenwache und ihr Kalender

Unser Vereinsmitglied Andrea Busch hat sich ein Lieblingsstück im Museum ausgesucht. Dazu schrieb sie: „Es handelt sich um die Scheibe mit den Löchern aus dem Raum mit dem Thema Vereine. Soweit ich mich erinnern kann, wurde diese von Familie zu Familie weitergegeben, um die Feuerwache während der Sonntagsgottesdienste zu organisieren, so dass immer jemand im Dorf / in der Stadt war, der aufpassen konnte.“

Andrea spricht vom Kalender der Kirchenwache im Raum 107:

In unserer Museumskartei heißt es dazu unter der Nummer 4161.1: Runde Holzplatte, auf der die Oberdorfer Hausnummern von 1 bis 164 spiralförmig aufgeschrieben sind; bei jeder Hausnummer ist ein kleines Loch, in welches ein Holzstöpsel gesteckt werden kann; der Bewohner des Hauses, das durch Hausnummer und Stöpsel angezeigt wurde, war von der Pflicht zur Teilnahme am Gottesdienst befreit und musste statt dessen im Ort patrouillieren und die Gottesdienstteilnehmer vor Gefahren warnen; nach jedem Gottesdienst wurde der Stöpsel weiter gerückt.

Sowohl der Kalender als auch die daneben ausgestellte Hellebarde zeugen von einer längst vergangenen und fast vergessenen gemeindlichen Einrichtung: Die Kirchenwache oder Kirchenwacht war eine alte Tradition, die auf den Dreißigjährigen Krieg zurückgehen soll. Damals zogen plündernde Soldaten durchs Land. Deshalb war es notwendig, Wacht zu halten, während die gesamte Ortsgemeinde zum sonntäglichen Gottesdienst in der Kirche versammelt war. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts waren die Kirchenwachen bayernweit noch stark verbreitet. Im Marktoberdorfer Stadtteil Geisenried wurde sie nachgewiesener-maßen bis in die späten 1960er Jahre durchgeführt. Für die Dauer des Gottesdienstes hatte ein mit Kirchenwachtspieß und Signalhorn ausgestatteter Einwohner die Aufgabe, das gemeindliche und private Eigentum vor Feuer, Diebstahl, Einbruch und mutwilliger Beschädigung zu schützen und gegebenenfalls Alarm zu schlagen. Der Kalender der Kirchenwache, die runde Holzscheibe mit den in Oberdorf vergebenen Hausnummern, hing dagegen in der St. Martin-Kirche und half dabei, die Kirchenwacht zu organisieren: Bei der Hausnummer des jeweils aktuellen „Kirchenwächters“ war ein hölzerner Span eingesteckt. Mit dem Ende des Gottesdienstes war die Kirchenwacht beendet. Der Holzspan wurde ein Loch weiter zur nächsten Hausnummer gerückt und der Kirchenwachtspieß an die neue Kirchenwache weitergegeben.

Leider wissen wir nicht, wie lange in Oberdorf Kirchenwache gehalten wurde. Ein wenig können wir uns dafür jedoch an den aufgeführten Hausnummern orientieren. Zur Zeit der napoleonischen Kriege – in den 1790er Jahren – wurden in Oberdorf erstmals Hausnummern vergeben. Dabei begann man in der Kaufbeurener Straße mit Hausnummer 1. Weiter ging es über den Katzenwedel in die heutige Meichelbeckstraße, von dort über den Marktplatz und die Salzstraße über die Hohenwartstraße und Eberle-Kögl-Straße zurück in die Kaufbeurener Straße - fein säuberlich der Reihe nach von 1 bis 147. Diese Hausnummerierung funktionierte einige Jahrzehnte lang sehr gut. Jedoch wütete im Dezember des Jahres 1826 der letzte große Brand in Oberdorf. Das Feuer brach im Osten des Marktes aus und vernichtete binnen vier Stunden 44 Häuser des „Riedle“. Lediglich vier Häuser des Ortsteils blieben vom Feuer verschont. Schnell wurden die abgebrannten Häuser wieder aufgebaut, jedoch verlegten einige ehemaligen „Riedler“ ihren Hof in das obere Torviertel von Marktoberdorf. Dabei nahmen sie ihre alten Hausnummern mit. Somit war die bisherige Ordnung gestört und die damalige Gemeindeverwaltung unter Franz Mühleisen entschloss sich bereits im Jahre 1828 zu einer Neuverteilung der Hausnummern. Dabei orientierte man sich an der alten Hausnummernfolge, doch durch die neuerbauten Gebäude der ehemaligen „Riedle“-Bewohner erhielten alle Häuser eine neue Nummer. Somit wurde beispielsweise aus der Hausnummer 6 die Hausnummer 9 und aus der 37 die 40. Wurde in den ungefähr 30 Jahren vorher als letzte Hausnummer die 147 vergeben, schloss man nun mit der 158. Daraus können wir ablesen, dass Oberdorf in dieser Zeit nur um 11 Anwesen gewachsen war.

Das sollte sich jedoch schlagartig ändern: Der Anschluss an das Bahnnetz mit dem Bau einer Lokalbahn von Biessenhofen nach Oberdorf im Jahre 1876 löste einen regelrechten Bauboom aus. Zwischen dem Bahnhofsplatz und dem Wallgraben war nun ein freier Raum von über 100 Metern Breite entstanden, der sich rasch füllte. Noch vor der offiziellen Eröffnung des Bahnhofes baute der Gastwirt Nerius Lohbrunner eine Bahnhofsrestauration, das heutige Hotel Sepp, und zählte schon bald einen nennenswerten Anteil von Bahnreisenden zu seinen Gästen. Gleichzeitig baute südlich davon Isidor Vetter ebenfalls eine Gastwirtschaft, das heutige Gasthaus Burger. Die Gemeindeverwaltung Oberdorf plante zeitgleich großzügig neue Straßen: Der Feldweg von der Ruderatshofener Straße zur Kemptener Straße, heute Jahnstraße, wurde verbreitet und für die spätere Gschwenderstraße und für die Verbindung vom Bahnhofsplatz zur Jahnstraße, der heutigen Poststraße, wurden Grundstücke abgemessen, die nicht lange unbebaut blieben. Durch die rege Bautätigkeit war bis 1900 das ganze Gebiet zwischen dem Bahnhof und dem alten Markt bebaut. Bei der Vergabe der Hausnummern schloss man sich nahtlos an die zuletzt vergebene Hausnummer an: Der Bahnhof selber erhielt die Nummer 161, die Bahnhofsrestauration die Nr. 162, das Haus der heutigen Druckerei Schnitzer die Nr. 171 und das 1898 erbaute Haus von Franz Schmid sen. die Hausnummer 184.

Eine weitere Kuriosität bei der Vergabe der Hausnummern spiegelt sich im Kalender der Kirchenwache ebenfalls nicht wieder: In den Jahren 1837 bis 1842 baute der Besitzer von Hausnummer 17 auf sein Grundstück westlich des Grabens drei Häuser. Bei der Vergabe der Hausnummern für diese Häuser orientierte man sich an der Hausnummer des ersten Gebäudes auf dem Grundstück, weshalb die neu errichteten Häuser die Nummern 17 1/2, 17 1/3 und 17 1/4 bekamen. Im Zuge der regen Bautätigkeit kam es im Laufe der Zeit im ganzen Ort zu Hausnummern mit angehängter Bruchzahl. Bei der Bebauung des ehemaligen Krankenhausviertels, heute Angerstraße und Simon-Baumann-Straße, erhielten die Häuser die Grundzahl 9. Die Teiler steigerten sich bis zur Hausnummer 9 1/20.

    Stadtarchiv Marktoberdorf

Diese wilde Hausnummernvergabe machte es nicht nur für Durchreisende, sondern auch für Einheimische zunehmend schwer, sich im Ort zurecht zu finden. Vielleicht war sie auch ein Grund dafür, dass kurz nach dem Bau des Bahnhofsgebäudes (1875) und der Bahnhofsrestauration nach der Nr. 164 keine weiteren Hausnummern mehr auf den Kirchenwachtkalender geschrieben wurden. Ob die Kirchenwache damals eingestellt wurde oder vielleicht noch einige Jahre unverändert fortbestand, bleibt eine offene Frage.

 

Marktoberdorf, 21.04.2022

Kornelia Hieber

Heimatverein Marktoberdorf

 

 

Feuer und Eisen, ein ganz besonderer Duft und fliegende Dosen

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Befestigungsmittel, Schmuckstück und Statussymbol: die Fibel einer Alemannenfrau

 

Hans Schweiger hat uns ein Lieblingsstück benannt, an dem wir ohne seinen Fingerzeig wahrscheinlich achtlos vorbeigelaufen wären. Er schrieb: „Mein Lieblingsstück im Raum 104 ist klein. Die alemannische Rosettenfibel mit Gold, Silber und Almandinen wurde in den Tagen gefunden, an denen ich im Sommer 1960 jeweils in der Mittagspause mitgraben und mich als Archäologe betätigen durfte.“

Aberglaube und Magie, Drudensteine und "Polla"

Schweißgebadet und nach Luft ringend erwacht der Schläfer. Allmählich lässt das beklemmende Gefühl in der Brust nach und mit ihm die quälende Angst. Der Albdruck hat ein Ende... Für so manchen Oberdorfer vergangener Zeiten wäre der hier geschilderte Fall klar: In der Nacht hatte ihn eine Drude heimgesucht.

Ein Alemannen-Krieger, der vielleicht älteste Marktoberdorfer

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„Da wir zu der Zeit als die Ausgrabungen stattfanden im Jörglweg wohnten und somit sehr nahe am Ort dieses Geschehens, sind wir als Kinder fast täglich zur Ausgrabungsstätte gegangen, um zu erfahren, was wieder „Neues“ gefunden wurde. Der Ausgrabungsort war nur durch ein Flatterband abgegrenzt und oft gaben uns „nette“ Archäologen ein paar Knochen, aber auch schon mal einen Totenkopf in die Hand. Sie hatten Spaß, wenn wir erschraken.“

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